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Verheimlichte Leben

  Verwirrt saß ich an meinem Schreibtisch, starrte ziellos aus dem Fenster. Kann man so seine Geschichte anfangen? Was weiß ich. Jedenfalls riss mich dann der Anruf aus meiner Erstarrung. Die Stimme, eine warme Männerstimme, hatte ich noch nie gehört. „Ich bin Thomas, dein Halbbruder aus Wismar.“ Keine Überraschung, dass der sich jetzt meldet, hat wohl auch gerade erst von Vaters Tod erfahren. „Ach, Thomas, ja, ich weiß. Dich hat das sicher auch ziemlich umgehauen.“ Wir sprachen direkt. Er klang so anders, aber freundlich. Vater hatte nie viel erzählt, schon gar nicht von Thomas. Der Name war ihm immer nur mit Mühe über die Lippen gekommen. Seltsam, jetzt sprachen wir zum ersten Mal und es war, als würde nichts mehr zwischen uns stehen.   Ich hatte mich nie bemüht, mir ein klares Bild von Thomas zu machen, seit ich mit etwa 19 von seiner Existenz erfahren hatte. Meine Mutter war damals, also vor rund dreißig Jahren, kurz nach dem Mauerfall 1989, zu mir ins Zimmer gekommen und hat